Abgeschottet

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„In der Zehnten musste ich mal skifahren“, sagte sie und nahm die Mütze ab. Sie setzten sich an einen der kleinen Tische am Fenster, neben der Heizung.

„Du musstest? Wie jetzt.“ Er guckte verwirrt.

„Auf Klassenreise. Zwanzig konnten es, vier nicht. Was glaubst du, bei welchen ich war?“ Sie wartete seine Antwort nicht ab. „Und ich hatte nur zusammengeliehene Klamotten. Gott, sah das Scheiße aus.“ Sie schüttelte den Kopf.

„Kann ich mir gar nicht vorstellen“, sagte er. Er ging zur Theke, um die Getränke zu bestellen. Als er zurückkam, redete sie sofort weiter.

„Naja. Wie alt ist man in der Zehnten, sechzehn? Da kommt einem alles hässlich vor. Jedenfalls hatten zwei Schüler und zwei Lehrer die Aufgabe, uns vier das Skifahren beizubringen. Die haben sich vielleicht bedankt. Statt selbst zu fahren, mussten sie mit uns auf dem Idiotenhügel rumstehen.“

„Wieso hattet ihr keinen richtigen Skilehrer?“, wollte er wissen.

„Keine Ahnung. Ich hab nichtmal gefragt. War mir egal, ich wollte sowieso nicht mit. Ich fand Skifahren ätzend. Schlecht für die Berge und so.“ Sie blickte ihn an. „Ich war da mal richtig radikal.“ Sie lachte. Es klang wie ein Schnauben.

„Drei Tage haben sie mit uns geübt, danach mussten wir es können. Ich hab es zwei Tage probiert, dann war auch gut. Danach bin ich stundenlang spazieren gegangen. Im Schnee. Ist auch mal schön. Meine Eltern hatten immerhin das ganze Geld bezahlt.“

Er sagte nichts.

Sie blickte durch das Fenster. Vor dem Café pinkelte ein Hund an die Hauswand.

„Zum Glück war ich nicht allein. Eine Mitschülerin wollte auch nicht Skifahren. Wir haben unser eigenes Programm gemacht. Ein anderer ist Schlitten gefahren, den hat er irgendwo aufgetrieben. Und die vierte ist wirklich gefahren, die hat das so schnell gelernt. Nach ein paar Tagen ist sie aus dem Lift gefallen und hat sich das Kinn aufgeschlagen. Das hat dann ein Schweizer Bergdoktor genäht. Die Narbe hat sie heute noch.“

Der Kaffee kam. Er rührte in seinem Milchschaum.

Sie sah ihn wieder direkt an. „Gott, haben die gesoffen damals. Vor allem die Jungs.“ Sie schüttelte den Kopf. „Mann, jetzt hab ich sogar Lust auf eine Zigarette.“

„So schlimm?“, fragte er erschrocken.

„Nö. Ich erinnere mich nur gerade“, sagte sie. „Wir waren bei unserem Alternativprogramm sogar in der Kirche. Ganz früh am Sonntag. Es war eiskalt. Ich weiß gar nicht mehr, ob wir da die Lehrer gefragt haben. Ich hab mich selten irgendwo so fremd gefühlt wie in dieser Kirche, glaub ich.“

„Hmm“, sagte er.

„Überhaupt diese Schweizer. Die sind schon komisch drauf. Alles ist so geleckt und ordentlich. Wir haben immer über die Verbotsschilder überall gelacht. Dies nicht, das nicht. Sie hätten lieber Schilder hinhängen sollen, was man noch darf! Und jetzt mal ehrlich, diese Abstimmung mit der Zuwanderung. Ganz schön hohes Ross, finde ich. Die werden sehen, was sie davon haben, wenn sie sich so abschotten.“

„Da hast du ganz schön recht“, sagte er. Dann, nach einer kleinen Pause: „Ich fand Skifahren eigentlich immer ziemlich cool.“

Verbotsschild gesehen im Engadin/Schweiz

Text: Katharina Frier-Obad
Foto: Corinna Wodrich

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