Alles so schön bunt hier!

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Narrenhände beschmieren Tisch und Wände – so sagten die Großeltern in meiner Kindheit. Tische, Mauern oder überhaupt irgendwelche Gegenstände bemalte man nicht. Wenn man malte, dann auf Papier.

Das Papier meiner Kindheit war weiß, aus gebleichtem Papier und – was mich betraf – in scheinbar unbegrenzter Menge zu haben. Irgendjemand brachte Papierreste mit, die irgendwo übrigblieben. Meine Freundinnen malten auf Rückseiten der Schmierzettel ihrer Eltern.

Überhaupt – schmieren. Was nicht Kunst war, war „Geschmier“. Noch heute heißen Grafittis oft Schmierereien. Das Wort fand ich schon immer unpassend. Beinhaltet das Verb schmieren nicht eine klebrige, zähe Substanz, die flächig auf einen Untergrund aufgetragen wird? So wie in „ein Brot schmieren“? Wie kann ein Bild auf einer Wand, größer als ein Mensch hoch ist und so lang wie ein Zugwaggon, mit Perspektive, Schatten und Lichteffekten, eine Schmiererei sein?

Trotz der Warnung vor den Narrenhänden malten wir später natürlich trotzdem auf Mauern. Jemand hatte mit Edding The Exploited auf die Backsteinmauer des Schulhofs geschrieben, hinten am Physiktrakt. Der Schriftzug war schwarz, kaum größer als ein Zehnmarkschein. Der Artikel stand oben links über dem zweiten Wort, drumherum ein Rechteck mit abgerundeten Kanten. Das war wohl eher keine Kunst, dafür ein starkes Statement an der Schule, an der Punker den Poppern zahlenmäßig stets unterlegen waren. Die malten natürlich niemals. Schon gar nicht mit Edding.

Drinnen im Physikraum verzierten wir die Tische, der Unterricht interessierte uns nicht. Die hellgrauen Arbeitsplatten mit der glatten Oberfläche eigneten sich für Bleistiftzeichnungen und songlange Zitate. Die Lehrer merkten nichts oder schwiegen. Wir malten geschminkte Jungs, die nicht weinten, Friedhofseingänge und Vikare im Ballettröckchen.

Wir malten und schrieben für die Freundin aus der anderen Klasse, die nach der großen Pause Physik hatte. Letzte Reihe, links am Fenster. Ich hab dir geschrieben.

Wir malten und schrieben in Briefen an Unbekannt. An ferne Freunde, süße Schwärme, Leute von gegenüber. Allein der Umschlag war ein Gesamtkunstwerk.

Doch Künstler war allein, wer ausstellte und verkaufte. Kunst kam von Können.

Heute kommt Kunst von Machen. Die Welt da draußen ist voller Macher. Wer hinschaut, sieht prächtige Farbschichten auf Beton, filigrane Häkelhüllen an Laternen, Gesichter mit Augen, geklebte Gedichte, Text und Meinung im öffentlichen Raum. Wer könnte etwas dagegen haben, das Grau der Stadt bunt zu machen? Die Narrenhände malen nicht mehr im Verborgenen, sie tragen ihre Kunst nach draußen. Die Stadt ist zum Malblock geworden, zum verzierten Physiktisch. Schön, ne?


Streetart mit Jägermeister gesehen in Dortmund

Text: Katharina Frier-Obad
Foto: Corinna Wodrich

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