Boomtown

Boomtown_Foto

Eigentlich war ein anderes Bild vorgesehen für den Pilotbeitrag in unserem Foto-Texte-Blog. Nun ist doch ein Foto aus Dundee geworden, der Stadt, wo die Idee für dieses Blog entstand. Dundee, das selbst einmal eine Boomtown war…

Dundee ist heute eine eher gemütliche Stadt mit knapp unter 150.000 Einwohnern. Allerdings blickt der Ort auf bessere Zeiten zurück. Im 19. Jahrhundert galt Dundee selbst als Boomtown, weil es erst zur bedeutenden Hafenstadt für die Walfangflotte und später zum Weltzentrum der Juteverarbeitung wurde. Im 20. Jahrhundert ging die Nachfrage für Jute zurück, die Textilindustrie schrumpfte. Noch später konzentrierte man sich auf die Comic- und Computerspielproduktion.

Mit Boomtowns verbinden wir heute vor allem Städte in Asien und Afrika. Unter Boomtown, so steht es in der Wikipedia, „versteht man eine Stadt, die aufgrund besonderer wirtschaftlicher Ereignisse oder politischer Umstände sehr schnell groß wird (oder aufgrund dessen überhaupt erst gegründet wird)“. Die größte Stadt der Welt ist nach wie vor Mexiko City, gefolgt – wieder laut Wikipedia – von Shanghai, Peking und Istanbul. Die am schnellsten wachsenden Städte sind Karachi in Pakistan, Shenzen in China und Lagos in Nigeria. 

Die Geschichte unseres Fotos hat jedoch mit keiner der genannten Städte zu tun. Hier ist noch nicht einmal eine spezielle Stadt gemeint. Zitiert wird eine Gang aus dem autobiografischen Roman „Bound for Glory“ von Woody Guthrie, dem amerikanischen Folksänger – das ist der mit „This land is your land“. Erschienen ursprünglich 1943, wurde das Buch 1976 nach der Verfilmung der Geschichte über Woodys Jahre als Landstreicher und Hilfsarbeiter neu aufgelegt.

Kurz vor der Verfilmung machte in Dublin, Irland, eine junge Band von sich reden. Sie spielten schnellen R&B – also das, was man damals darunter verstand. Dr. Feelgood nennen sie als musikalischen Haupteinfluss. Drei der jungen Iren studierten am Bolton Street Institute of Technology Architektur, und hier spielten sie auch ihr erstes Konzert. Das College nutzte Vorlesungssäle auch für Veranstaltungen.

Fast vierzig Jahre später (wir nähern uns langsam dem Foto, nur Geduld) spielen dieselben Iren ein Konzert in Dundee, Schottland. Hinter ihnen liegen zehn erfolgreiche Jahre: Zwischen 1976 und 1986 hatten sie drei große Hits, waren die erste irische Band, die einen Nummer-Eins-Hit in den britischen Charts hatte. Mehrere Jahre lang folgte ein Charterfolg dem nächsten. In der Heimat Irland erhielten sie Auftrittsverbot, weil sie die Doppelmoral von Kirche und Politik anprangerten. 1986 verkündete der Sänger bei einem Konzert das Ende der Band. Erst im Juni 2013 stehen die Iren in fast kompletter Originalbesetzung erstmals wieder gemeinsam auf der Bühne. Dem Auftritt auf dem Isle of Wight-Festival folgt im Herbst 2013 eine Tour durch Irland, England und Schottland. Den Abschluss dieser Reunion-Tour bilden die beiden Konzerte in Dundee und Aberdeen.

Dundee wird die Band als die Stadt mit der kleinsten Bühne in Erinnerung behalten. Die Bühne im Fat Sam’s lässt kaum Bewegungen und physische Interaktionen der sechs Musiker zu. Große Teile des Equipments wie Cases, Kabel und Reserveinstrumente werden neben der Bühne in einem kaum abgesperrten Bereich gelagert – wie auch das abgebildete Gaffatape, das Utensil, das bei keiner Veranstaltung fehlt. Vor der Bühne tanzt der Moshpit, feiern alte und junge Fans eine ausgelassene Party zu den Hits, denen die Jahrzehnte nichts anhaben konnten und die nichts an Aktualität und Relevanz verloren haben.

1975 übrigens war die Band in der Bolton Street noch als Nightlife Thugs angekündigt worden. Ihr Sänger, der gerade “Bound for Glory” gelesen hatte, ging jedoch nach den ersten paar Songs zu der großen Tafel, auf der ihr Name stand, wischte die Kreideschrift ab und trug den neuen Bandnamen ein: The Boomtown Rats.

Bei diesem Namen blieb es – entsprechend beschriftet ist das Equipment der Band auch heute noch. Und so kommt es zu unserem Foto, das die wilde, enge, heiße Party der wiedervereinigten Boomtown Rats an einem kalten Novemberabend in Dundee dokumentiert.

Und wie geht es weiter? Offen ist kurz nach der erfolgreichen Herbsttour, ob es weitere Konzerte oder Veröffentlichungen geben wird. Die Tour übertraf mit mehreren ausverkauften und vielen gut verkauften Hallen die Erwartungen, die Kritiken sind fast ausnahmslos positiv. Aus der Diskografie der Band gibt es noch reichlich Material, das noch einmal gespielt werden könnte, zum Beispiel einiges vom sechsten Album. Oder ein neues Album (au ja bitte!)? Alles nicht entschieden. Ich würde sie nur zu gerne wieder live sehen.

In Dundee, oder anderswo.

Text: Katharina Frier-Obad
Foto: Corinna Wodrich

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