Für dieses Tanzes Länge

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Husum, 9. Februar 1886

Liebe Henni,

ich habe dir so viel zu erzählen! Am Wochenende hat sich eine herrlich aufregende Geschichte zugetragen. Siegfried und ich waren auf dem Fest seines Chefs eingeladen. Der Justizrat und seine Frau feierten Goldene Hochzeit, und weil wir ja wohl die nächsten sind, die heiraten werden, waren wir natürlich auch eingeladen. Ja, wie überhaupt alle aus der Kanzlei. Siegfried und seine Kollegen hatten ein kleines Stück geschrieben und einstudiert, das als Überraschung aufgeführt werden sollte. Das ist das Geschenk der Belegschaft an den Justizrat, und einige Ehefrauen und Verlobte waren auch dabei.

Ich wusste schon, dass ein paar prominente Gäste zugegen sein würden, denn der Justizrat ist ja nicht irgendwer in dieser Stadt. Jedenfalls hatte ich mich besonders herausgeputzt. Das Kostüm für das Stück hatte ich natürlich auch mit, das habe ich dir ja schon alles geschrieben. Der Justizrat und seine Frau haben ein schönes Haus in der Innenstadt, und schon beim Eintreten wurde mir klar, hier feiert nicht Irgendwer! Das Mädchen nahm uns die Mäntel und die Schachteln mit den Kostümen ab, und sogleich wurden wir mit Champagner begrüßt. Echtem Champagner, Henni!

Zuerst gab es im Salon einen Empfang, wo einige Reden gehalten wurden, dann gingen die etwa 80 oder hundert Gäste in das große Zimmer im Seitenflügel, das eigentlich ein Saal ist. Hier war eine echte kleine Bühne aufgebaut. Ich wurde jetzt doch etwas nervös wegen unserem Einakter. Wir zogen uns in den Bedienstetenräumen um. Das Mädchen war mir mit den Knöpfen an meinem Kleid behilflich, erst beim Ausziehen, später auch wieder beim Anziehen. Im Kostüm ging es wieder hinunter in den Saal. Dort hatten die Hausangestellten, die ja eingeweiht waren, Stühle und Bänke aufgestellt und dann führten wir vor den Gästen unser Stück auf. Die Handlung war nun nicht über die Maßen geistreich, aber das Publikum hat brav an den richtigen Stellen gelacht. Ich kam mit meinem Text gut zurecht. Der Justizrat hat sich sehr gefreut, seine Frau war auch ganz gerührt und wischte sich ein paar Tränen weg. Es war wahrhaftig eine gelungene Überraschung.

Danach konnte ich mich natürlich erst so richtig entspannen. Als ich in meinem guten Kleid wieder nach unten kam, waren die Stühle schon aus dem Saal fortgeräumt und ein kleines Orchester spielte auf der Bühne. Die ersten Paare tanzten schon.

Siegfried und ich tranken noch ein wenig Champagner – nun schmeckte er noch besser – und danach fingen auch wir an zu tanzen.

Schon bald merkte ich, wie mich ein älterer Herr aus der anderen Ecke des Saales anschaute. Als das Orchester eine kurze Pause einlegte, sprach er uns an. „Leih mir mal deine Dame für dieses Tanzes Länge“, sagte er zu Siegfried. Siegfried fragte mich netterweise, ob es mir recht sei, mit Herrn Storm zu tanzen? Oh Henni, ich weiß nicht, wie mein Gesicht ausgesehen hat, jedenfalls war es kein Geringerer als der Storm, du weißt schon, der Dichter! Die Musik setzte wieder ein, Siegfried lächelte mir zu und trotz seines Alters tanzte Herr Storm leichten Schrittes. Ich muss ihm wohl so einige Male auf die Füße getreten sein, denn ich war ziemlich nervös, dass ich erst vor Theodor Storm auf der Bühne gestanden hatte und er nun leibhaftig mit mir tanzte!

Doch er ließ sich nichts anmerken und als die letzten Töne des Stücks verklungen, zog mich der alte Herr lachend in seine Ecke. Seine Frau und seine Tochter, die ein bisschen jünger ist als wir, waren auch da und Siegfried und ich wurden vorgestellt. Ich glaube, Herrn Storm tat es Leid, mich so in Verlegenheit gebracht zu haben, und ich glaubte zunächst, es war mehr aus reiner Höflichkeit denn aus Interesse, dass er begann, uns Fragen zu stellen. Siegfried erzählte aus der Kanzlei, was Herrn Storm natürlich sehr interessierte. Dann fragte er mich nach unserem Einakter, meinen Eltern und meinen Geschwistern. Vielleicht hatte der Champagner seine Wirkung getan oder ich hatte mich schon an seine Art gewöhnt. Es war ein lustiges Hin und Her, bis er – stell dir vor! – feststellte, dass er meine Mutter als junges Mädchen gekannt hatte: ja, richtig, Jette Carstens aus der Nordwerftstraße, die so prächtig lachen konnte! Das waren seine Worte, und da wusste ich, dieser Herr Storm hat das Herz am rechten Fleck. Vielleicht hatte er mich auch von Anfang an erkannt, weil ich Mutter ja doch recht ähnlich sehe. Wir sprachen noch eine Weile weiter, auch seine Frau und seine Tochter beteiligten sich am Gespräch. Siegfried erkundigte sich, ob Herr Storm schon wieder fleißig am Schreiben sei, was dieser bestätigte. Er beschäftige sich unter anderem gerade mit der Deichbautechnik und lese wieder Gespenstergeschichten. Siegfried und ich fragten uns auf dem Heimweg, was das wohl für ein Buch werden soll! Nach unserem Gespräch und nicht ohne dass er mir für Mutter herzliche Grüße aufgetragen hatte, gab Herr Storm seiner Frau und seiner Tochter ein Zeichen. Uns sagte er, dass er sich bald verabschieden werde, denn er sei ein alter Mann mit einem nervösen Magen und müsse sich zur Nachtruhe begeben.

Siegfried und ich bedankten und verabschiedeten uns und begaben uns frohgemut wieder auf die Tanzfläche. Ein Tanz erst mit Herrn Storm, dann mit meinem Siegfried, was kann es Schöneres geben! Später gab es sogar noch einmal Torte. Es war schon nach Mitternacht, als Siegfried mich nach Hause brachte. Was für ein Abend, ich bin noch immer ganz erfüllt! Was sagst du nun, liebe Henni!

In aufgeregter Erwartung deiner baldigen Antwort,

Deine Ida

 

Schulausgabe von Storms Schimmelreiter gesehen auf Amrum

Bild: Corinna Wodrich
Text: Katharina Frier-Obad

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