In Transit

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Kurz vor dem Wintereinbruch wollten sie es wissen.

Seit Generationen waren sie immer in der Gegend geblieben. Manche ihrer Vorfahren fanden durch Zufall ihr Glück in der Ferne, weil sie jemand auf der Straße mitnahm, ein vorbeifahrendes Auto kam, sie das Leben und der Herbststurm wegtrieben. Manche wurden durch äußere Umstände fortgefegt und verschwanden.

In diesem Jahr wartete die junge Generation vergeblich auf Autos und Sturm. Die Furcht vor Reinigungsaktionen wuchs, zugleich griffen Resignation, das Gefühl von Nutzlosigkeit und Perspektivlosigkeit um sich. Manche gammelten nur noch so vor sich hin.

Und so ergriffen einige junge Verwegene eine ungewöhnliche Chance. Kopfüber stürzten sie sich ins Abenteuer. Mitnehmen konnten sie nichts, und sie gingen mit leeren Händen einer ungewissen Zukunft entgegen.

Auf der Reise hielten sie zusammen. In der Enge blieb ihnen wenig anderes übrig. Gemeinsam hielten sie Ausschau nach einem neuen Ort, der ihr Lebensmittelpunkt werden sollte.

Beachtet wurden sie selten. Die Blicke der Passanten glitten gleichgültig an ihnen vorbei. Nur Kinder blieben manchmal stehen. Die Kinder waren die einzigen, die nicht auf sie herabblickten.

Mitunter zweifelten sie am Sinn ihres Vorhabens. Sie stellten in Frage, ob sie jemals ankommen würden. Manchmal schien ihnen, als würde sich nicht bewegen – Stillstand und Starre. Sie fühlten sich von Dunkelheit und Kälte gefangen.

Nach vielen Wochen ging es aufwärts. Licht erschien am Ende eines langen Tunnels. Die jungen Verwegenen hatten sich selbst verändert. Schmal waren sie geworden, sie schienen gealtert. Doch von ihrem Mut und ihrem Lebenswillen hatten sie nichts eingebüßt. Ein Frühlingshauch gab ihnen neue Kraft.

Das Ende der Reise war nah. Bald würden sie ankommen. Die Einschränkungen des Übergangs würden beendet sein. Die Drähte zur Vergangenheit durchschnitten, würden sie den Neuanfang wagen.

An einem Ort zum Wurzeln schlagen.

Nasenkleber gesehen in Hamburg

Text: Katharina Frier-Obad
Foto: Corinna Wodrich

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