Schwarz-Rot-Gold

Foto-Strandbar

Die Ansichten in meiner Timeline gehen ja auseinander: Die einen finden die Gaucho-Nummer der deutschen WM-Mannschaft total daneben, die anderen finden die Haltung der ersteren total daneben. Spaßbremsen, typisch deutsch, man-wird-ja-wohl-nochmal … Beim ersten Anschauen des Videos wünschte ich, ich hätte es nie gesehen. Beim zweiten Mal immer noch. Ich hatte mich über den WM-Sieg wirklich gefreut. Echt!

Ich erinnere mich noch ziemlich gut an den deutschen WM-Sieg 1990. Als Jugendliche fuhr ich am Folgetag in die Ferien. Damals gab es noch eine Fährverbindung von Hamburg nach England. Wir reihten uns mit dem Auto in die Warteschlange ein. Vielleicht hatte ich ein Dublin-Shirt an. Den anderen Wagen entstiegen hingegen Menschen mit Deutschland-Trikots, mit schwarz-rot-gelben Shorts, sogar mit Fahnen. Ich fand das sehr befremdlich. So ein Aufzug, ausgerechnet wenn man nach England fuhr! Dort galten die Deutschen doch sowieso als Nazis!

In meiner westdeutschen Jugend war an der deutschen Flagge für mich nichts, aber auch überhaupt nichts toll zu finden. Sie stand höchstens für die Regierung (Kohl!), gähnend langweilige Fernsehbilder aus dem Bonner Bundestag und andere staatstragende Angelegenheiten, die mich nicht interessierten oder denen ich kritisch gegenüberstand. Aus heutiger Sicht kam Schwarz-Rot-Gold in meinem Alltag auch kaum vor. Überhaupt Flaggen, die hatte sich Westdeutschland – zum Glück – nach 1945 so ziemlich abgewöhnt. Die Flagge auf den Ärmeln unserer Bundeswehrparkas trennten wir ab, übermalten sie schwarz oder schnitten ein Loch hinein. Hauptsache, keine Nationalfarben! Flaggen waren für mich höchstens okay, wenn es um meine Lieblingsbands ging. Da suchten wir uns fröhlich Ersatzflaggen. Irland, Schottland.

Seit dem 3. WM-Sieg ist ja ein bisschen Zeit ins Land gegangen, und vieles ist anders. Ich weiß inzwischen, was ich an Deutschland gut finde und was nicht. Außerdem ereignete sich in der Zwischenzeit das sogenannte Sommermärchen. Die Fußballweltmeisterschaft 2006 ließ einen schwarz-rot-goldenen Knoten platzen. Erstmals war es in Ordnung, so richtig doll für Deutschland zu sein – und das auch zu zeigen. Die Welt sah, dass wir lustig und entspannt waren und feiern konnten. Seitdem malen sich die Leute voller Selbstverständlichkeit die Nationalfarben ins Gesicht, schmücken Auto und Fahrrad mit Fähnchen und hängen sich deutschfarbige Blumengirlanden um den Hals.

Ich finde das okay. Ein unverkrampfter Umgang, egal womit, ist grundsätzlich gut. Ich muss ja nicht mitmachen. Dass ich mich jemals anlassbezogen mit den Farben der deutschen Flagge schmücken werde, halte ich für sehr unwahrscheinlich.

Dabei hat mir die WM 2014 großen Spaß gemacht. Ich möchte das betonen! Ich interessiere mich nur mäßig für den Sport, was mich viel mehr interessiert, sind die Unterschiede zwischen den Teams, den Fans und das ganze Drumherum. Ich mag die Statistiken und kuriosen Infos, Details über die Austragungsorte und Spielerbiografien. Und so richtig Fan von etwas zu sein, finde ich sowieso toll. Das alles hat wenig mit der deutschen Mannschaft zu tun. Spätestens nach dem Brasilien-Spiel fand ich die Jungs dann aber doch auch ganz schön cool. Mich hat beeindruckt, dass die Spieler nach dem Sieben-zu-eins-Sieg nicht auf dicke Hose gemacht haben. Obwohl sie im Schnitt so jung sind, vermittelten sie auf dem Rasen nach dem Spiel eine gewisse Reife. Sie wirkten gerade nicht arrogant, obwohl sie die Seleção – Brasilien, Alter! – gerade so richtig abserviert hatten. Das war die einzig richtige Haltung. Alles andere wäre unangemessen gewesen und hätte das Klischee des tumben, protzigen, erfolgsverwöhnten Deutschen bestätigt. Aber stolz auf die Mannschaft? Nein – genau das bin ich gerade nicht.

Stolz bin ich auf Dinge, an denen ich selbst beteiligt war, die durch mein Zutun gut geworden sind. Zum WM-Sieg habe ich nicht das Geringste beigetragen. Ich freue mich für die Mannschaft, die sich den Sieg hart erarbeitet hat, und die schönen Stunden, die wir mit Fußballgucken verbracht haben, waren genau das: schön. In Standbars, Biergärten, mit Beamer gemeinsam mit den Nachbarn in der Garage, bei uns in der Küche. Ich finde es auch gut, dass das Turnier Anstoß war für viele Diskussionen: über die Auswirkungen der WM auf die Bürger in Brasilien, auf die Machenschaften der FIFA, über Katar, warum man für Holland sein sollte – und über Nationalität, erstarkenden Nationalstolz, Nationalstaaten und Gruppenzugehörigkeit überhaupt. Über all das sollte man viel häufiger reden (ja doch, auch über Holland).

So weit, so gut – und dann führen die siegestrunkenen Jungmänner das miese Gaucho-Tänzchen auf. Würg. Warum musste das bloß sein? Voller Verwunderung habe ich heute diesem Artikel im Daily Mirror (ich schwöre, ich lese das sonst nicht!) entnommen, dass die peinliche Aktion zumindest in England nicht halb so schlimm angekommen ist, wie ich befürchtet hatte. Im Gegenteil: Der Beitrag zelebriert geradezu, dass und wie die Mannschaft ihren Erfolg genießt und wie sie sich feiern lässt. Feiern, genießen, sich auch mal zum Horst machen, alles offenbar aus der Außenperspektive gänzlich undeutsche Eigenschaften. Es sieht fast so aus, als könnten die Engländer die Deutschen gerade ganz entspannt ziemlich in Ordnung finden. “Muller’s face, MULLER’s FACE!!”. Vielleicht haben sie uns doch endlich ein bisschen verziehen.

Fußball – gesehen nicht nur in Hamburg.

Text: Katharina Frier-Obad
Foto: Corinna Wodrich

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