Über die Eynsamkeit

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Loneliness schreibt man mit i.

Das kann mal passieren, wenn man – vielleicht akut einsam, vielleicht jugendlich und mit einer hohen Wahrscheinlichkeit nicht englischer Muttersprachler – in aller Heimlichkeit die Befindlichkeit an die Wand schreibt. Auch mit dem Satzbau stimmt etwas nicht. Den grundsätzlichen Inhalt der Aussage schmälern diese Fehler aber so schnell nicht. Hier geht es um echte Einsamkeit.

Zunächst dachte ich, dass es sich bei diesem Satz, in Schreibschrift an die Wand geschrieben, um ein Zitat handelt. Manche Menschen schreiben ja Zitate ihrer Lieblingssongs oder -gedichte auf Wände oder Tische. Meine Recherchen haben da aber nichts ergeben. Und wenn Google nicht weiterhilft, muss man ja tatsächlich selbst überlegen. Was kann der Satz bedeuten?

The loneliness of never being by yourself – das stellt eigentlich alles, was ich über Einsamkeit weiß, auf den Kopf. Einsam ist man, wenn man allein ist. Ein-sam, da geht es um das Ohne-andere-sein. Wer einsam ist, kann Gedanken und Gefühle nicht mit anderen Menschen teilen. Wer einsam ist, dem fehlt Austausch, Nähe und Zuneigung. Einsamkeit, die entsteht, weil man nie allein ist, hat eine andere Qualität. Dann sind ständig Menschen da, doch trotz der Anwesenheit anderer gibt es keinen Austausch. Jemand, der unter dieser Einsamkeit leidet, wirkt nach außen nicht allein, denn es sind ja immer Leute da. Alle reden ständig, aber niemand sagt etwas. Es ist eng, aber nicht nah.

Nach nächster Näherung fragte ich mich, warum der Autor der Zeilen nicht geschrieben hat: “The loneliness of never being on your own.” Darin käme der Wunsch nach dem Bei-sich-sein, nach Sich-selbst-genug-sein zum Ausdruck. Wer nie allein ist, kommt nicht zum Reflektieren von Erlebnissen. Wer mit sich selbst allein sein kann, erlangt Klarheit. In der Formulierung “on one’s own” schwingt für viele Muttersprachler offenbar mehr eigene Entscheidung mit als in “by oneself”. “On one’s own” ist man endlich, nachdem alle gegangen sind. Wenn alle alles gesagt haben und man endlich selbst dran ist. “By oneself” ist man ganz allein auf sich gestellt, ohne Hilfe von außen. Fraglich, ob der Tapetenschreiber das gewusst hat.

Und schließlich – mit nur zwei Buchstaben weniger – gibt es auch noch dieses: the loneliness of never being yourself. Denn auch wer sich immer verstellt, wer nie sie oder er selbst sein kann, wird einsam. Wahrscheinlich sogar einsam in sich selbst.

Was bei aller Mehrdeutigkeit bleibt: Manche Menschen sind so einsam, dass sie ihre Einsamkeit in einer anderen Sprache an die Wand schreiben. The loneliness of calling for help on a wallpaper.


Einsamkeit – gesehen in Hamburg.

Text: Katharina Frier-Obad
Foto: Corinna Wodrich

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